1. September 2011

Zur bedeutenden niederländischen Theologin Catharina J.M. Halkes (1920-2011)


Denken an Catharina Halkes stärkt und macht zugleich traurig: sie hat Bedeutendes für die Feministische Theologie geleistet, war mir Lehrerin und Freundin - , aber sie ist dieses Jahr gestorben. Im gleichen Jahr wie die Theologin Else Kähler, beide  waren Vor- und Mitdenkerinnen. Gott hat nicht nur starke Söhne, so hiess das erste feministisch-theologische Buch von Halkes. Heute muss ich fragen: wo sind die „starken Töchter“? Sind wir es? Bin ich eine von ihnen? Oder wo sind sie?


Es tut gut, die Bücher von Catharina Halkes wieder zu lesen. Immer noch sind sie aktuell, immer noch berühren sowohl ihre Patriarchats- und Kirchenkritik wie auch ihre Hoffnung auf Veränderbarkeit, die sie lang oder vielleicht nie aufgegeben hat. Zwar war sie in den letzten Jahren oft deprimiert über die Entwicklung der Theologie, über die Schwächung der Frauenbewegung, über fundamentalistische Entwicklungen, aber sie selber hat den Glauben an eine Erneuerbarkeit von verkrusteten Strukturen nie aufgegeben. Sie hat an die Geistkraft geglaubt. Das Symposion zu ihrem 90sten Geburtstag, das an der Universität Nijmegen am 4. September 2010 gefeiert wurde, wünschte sie sich unter dem Titel Das Leben feiern.  In ihrem nachherigen Brief an die „ausländischen Gäste“ schrieb sie an uns „liebe Schwestern, die Ihr mir herzlich verbunden seid in heiliger Geistkraft“ und beendete den Brief mit folgendem Satz: „Und möge unsere Mutter, die heilige Geistkraft, uns alle auch weiterhin inspirieren.“

Feminismus – einen Gegenkultur
Catharina Halkes war für die Entfaltung der feministischen Theologie in Europa eine wichtige Persönlichkeit. Gemeinsam mit Elisabeth Moltmann-Wendel hat sie die feministische Theologie eingeführt und verbreitet.  Das 1980 erschienene oben erwähnte Buch Gott hat nicht nur starke Söhne  hat vielen Frauen und Männern den Blick für diese kritische Befreiungstheologie geöffnet. Feminismus nennt Halkes in diesem wie in weiteren Büchern „eine Lebenshaltung“, „eine Gegenkultur“, „einen Prozess der Befreiung“. Ihre Theologie setzt bei den Leidenserfahrungen von Frauen an, nimmt diese ernst, wie verschiedenartig sie auch sein mögen. „Feministische Theologie“ – so lautet eine ihrer Umschreibungen im Buch Suchen, was verloren ging (erschienen 1985)  – ist „eine kritische Befreiungstheologie, die sich nicht auf die Besonderheit der Frauen als solche stützt, sondern auf ihre historische Erfahrung des Leidens, auf ihre psychische und sexuelle Unterdrückung, Infantilisierung und strukturelle Unsichtbarmachung infolge des Sexismus in den Kirchen und in der Gesellschaft.“

Die Kritik von Halkes war immer konkret. Sie hat nie generalisierend von der Frau oder den Frauen gesprochen; denn sie war sich der Unterschiedlichkeiten bewusst und hat immer wieder zu differenzierender Betrachtungsweise angeregt. Überhaupt hat sie sich gegen jede Verabsolutierung gewehrt, auch wenn sie von Frauenseite kam.

Ermutigende Toleranz
Auffallend bei Catharina Halkes – in Begegnungen, in ihren Büchern und Vorträgen – war ihre ermutigende Toleranz, auch den verschiedenen Richtungen innerhalb der feministischen Theologie gegenüber. Sie konnte sehr wohl verstehen, dass die einen Frauen Kirche und Christentum verlassen haben. Es war allerdings nicht ihr Weg. Aber sie konnte ihn akzeptieren. „Alles hängt von den Motiven einer jeden Persönlichkeit ab, die ich im vornhinein respektiere; aber ich bewahre mir auch meine Selbstachtung vor meiner eigenen Wahl und Position.“  Bei der ersten Begegnung mit Catharina in der Paulus-Akademie Zürich ist mir ihre optimistische Sensibilität aufgefallen. Sie war davon überzeugt, dass eine Befreiungsbewegung von Frauen zu einer prophetischen Bewegung auch in den Kirchen werden kann. Dies war im Jahr 1986. Sie rief die Anwesenden dazu auf, an einer gläubigen Gemeinschaft mitzuwirken, „die so kraftvoll und mitreissend wird (denn das Heilige färbt ab), dass wir die Machtstrukturen ganz einfach ‚fortschieben‘, beiseiteschieben“. Diese Hoffnung auf Veränderung, wenn ich an die damalige Stimmung denke, tut angesichts der heutigen Situation der Institution Kirche geradezu weh. Aber 1986 war diese  Hoffnung stark, und Halkes wollte sie auch später nicht aufgeben. Hinter die  tiefgreifenden Erfahrungen, die sie in Rom während des Zweiten Vatikanischen Konzils als grosse Weite und Herausforderung erlebt hatte, wollte sie nie mehr zurücktreten. Dies wurde auch für sie zunehmend schwieriger.

Schöpfungstheologie
1990 war Catharina Halkes erneut Gast in der Paulus-Akademie. Die damals 70jährige sprach über Das Antlitz der Erde erneuern. Gedanken zu einer neuen feministisch-ökologischen Schöpfungstheologie. Dies war auch die Thematik ihres in jenem Jahr erschienen Buches. Angeregt durch den Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung hat sie sich über Jahre mit Schöpfungstheologie befasst. Sie entfaltete in der Studie ihre konkrete Utopie von Gerechtigkeit und Frieden  und einem neuen Verhältnis zwischen Mensch und Schöpfung. Sie deckte  dabei die problematischen Fundamente der männlich dominierten westlichen Kultur auf und wies auf notwendige Veränderungen hin.  Ihre Untersuchung richtete sie ausdrücklich an Frauen und Männer, an alle, die sich für den konziliaren Prozess einsetzen. „Es (das Buch) will uns helfen, uns auf die tieferen Ursachen des Machtunterschiedes zwischen Frauen und Männern und die Kluft zwischen Natur und Kultur zu besinnen.“
Dazu entwarf sie die Grundzüge einer Schöpfungstheologie, in der die Vorstellung vom Menschen als „Herr über die Erde“ korrigiert wird durch die Verknüpfung mit der Vorstellung vom Menschen als „Bild Gottes“.  Frauen und Männer haben nicht nur beide durch ihre Körperlichkeit Anteil an der Natur, sondern sie haben auch beide als Ebenbilder Gottes den Auftrag, KulturträgerInnen zu sein. Als wichtiges Charakteristikum des Gottes der Schöpfung hob sie sein segnendes Handeln hervor, das – im Gegensatz zum erlösenden Handeln – oft zu sehr in den Hintergrund gerückt worden sei. Das segnende Handeln  bezieht sich nicht nur auf den Menschen, sondern auch auf Felder und Tiere – auf die ganze Schöpfung. „Dieses Segnen umfasst Wachsen, Reifen und Abnehmen der Kräfte, Glück und Gelingen, Geburt und Tod…“. Als weiteren wichtigen Aspekt der Schöpfungstheologie betonte Halkes die Bedeutung des Sabbats. Zu lange haben sich die Menschen erlaubt, die Natur zu beherrschen und auszubeuten. Der Sabbat verweist auf eine andere Haltung. An ihm „gelangt die Schöpfung erst zur Vollendung“, durch ihn wird klar, dass die Natur nicht dem Menschen gehört, sondern dass er in ihr wohnen darf inmitten der übrigen Kreaturen. Das Sabbatgebot ist nicht nur für den Menschen da, sondern auch für das Land, auch für die Pflanzen und Tiere, für Himmel und Erde. Die „tödliche Asymmetrie zwischen Mensch und Natur“ wird im Sabbat überwunden; er betrifft die ganze mit Gott existierende Welt.

Professur  für feministische Theologie
Catharina Halkes war und ist, wie anfangs gesagt, für die Bewegung der feministischeTheologie in Europa von entscheidender Bedeutung. Dies durch ihre Persönlichkeit, ihre Bücher, durch ihre unermüdliche Vortragstätigkeit und nicht zuletzt durch die Ausstrahlung ihrer Arbeit an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Nijmegen. Seit 1970 war sie an dieser Universität Dozentin im Fachbereich Pastoraltheologie. Nachdem sie sich jahrzehntelang für die Thematik von Frauen und Kirche, auch für Frauenordination, engagiert hatte, sah sie  sich Anfang der siebziger Jahre mit grundlegenden  Fragen konfrontiert, die sich auf die Theologie selber bezogen. Entscheidend für die neue Sicht, die sie – nach ihren eigenen Worten – „blitzartig“ für den Feminismus geöffnet hatte, war die Lektüre des Buches Beyond God the Father  von Mary Daly, das 1973 erschienen war. Halkes arbeitete sich in das neue Denken ein, ein Denken, das ihr half, die eigenen Erfahrungen in einen Zusammenhang zu bringen und besser zu verstehen. Bald begann sie Vorträge zu halten über Feminismus und feministische Theologie. Doch das schien ihr nicht genug. Sie erkannte, dass die feministische Theologie an der Fakultät einen klar umschrieben Platz erhalten müsse und setzte sie sich für die Realisierung ein. Sie erreichte, dass vorerst ein auf vier Jahre befristetes Probeprojekt unter dem Titel Feminismus und Christentum begonnen wurde. Halkes wurde für dieses Projekt ernannt, gab ihre Festanstellung bei der Abteilung Pastoraltheologie auf und setzte sich vorbehaltlos für feministische  Theologie ein. Das Projekt hatte grosse Ausstrahlung und wurde nach der Versuchsphase als feste Planstelle an der dortigen Fakultät eingeführt. 1983 wurde Catharina Halkes zur ersten Professorin auf dem Lehrstuhl Feminismus und Christentum der Universität Nijmegen ernannt. Diese feste Einrichtung, die auch nach der Emeritierung von Halkes bis jetzt weiterbesteht, ist eine Errungenschaft, die ohne ihre Klugheit und ihren Mut kaum denkbar gewesen wäre. Von ihrer Arbeit als Dozentin und Professorin gingen wesentliche Impulse aus: Die Forschung vieler TheologInnen wurde durch Halkes angeregt; ihr Engagement hat ferner viele Frauen und Männer zum eigenen Suchen nach den ihnen gemässen Gottes- und Menschenbildern ermutigt.

Ein Abschied
Teilweise wurde es nach der Emeritierung still um Catharina Halkes. Zwar erschien 1995 die Festschrift Abschied vom Männergott  und im gleichen Jahr wurde anlässlich ihres 75.Geburtstages in der Akademie Kerk en Wereld, Driebergen, ein Internationales Symposion organisiert mit dem Titel: Miriam und Cyborg. Generationen in der feministischen Theologie. Catharina Halkes freute sich über dieses Echo, war aber zugleich über den Stand/die Wirkung der feministischen Theologie, die Entwicklung von Kirche und Gesellschaft beunruhigt. Das hat sie in zahlreichen Briefen ausgedrückt und doch ihre Utopie nicht aufgegeben. An der prophetischen Dimension des Magnifikats wie auch an der Hoffnung auf die heilige Geistin u.a. hielt sie mit zärtlicher Energie  fest. Sie war eine wunderbare Frau, eine inspirierende Lehrerin, wir verdanken ihr viel. „Zu Ihrem Gedächtnis“ werden wir im RomerHaus wichtige Themen von Catharina Halkes erinnern, sie feiern, Abschied nehmen

erschienen in Neue Wege 9/2011